17.10.2022
Westdeutsche Zeitung
Aufführung : Künstlerteam macht Bahnhof Vohwinkel zum Theaterraum
Ungewöhnliches spielte sich am Sonntagabend in der Halle des Bahnhofs Vohwinkel ab. Wer hier auf dem Weg zum Zug oder Anschlussbus war, wurde Augen- und Ohrenzeuge einer Theaterperformance. Im Zentrum der Premiere von „All das Schöne“ stand Schauspielerin Camilla Jacob. Dem Kommen und Gehen der Reisenden setzte sie ihr exaltiertes bis komisches Spiel entgegen. Im Hintergrund hielten sich Magdalena Wolf (Cello) und Jonas Jacob (Trompete), die für die musikalische Begleitung sorgten – von Barock bis hin zu modernen Klängen.
In vier Szenen ließ Camilla Jacob Frauenfiguren zu Wort kommen, die man sich alle als reale Passanten in der Bahnhofshalle vorstellen könnte. Sie verkörperte die Jugendliche mit Handy am Ohr, die zwischen Partymachen und Rebellieren schwankte. Oder ginge nicht am besten beides zusammen? Nach einem Zwischenspiel der Cellistin trat sie als Alleinerziehende mit Kinderwagen auf, die sich über ihre Mutterrolle Gedanken machte. Dabei stieß sie immer wieder auf „patriarchalisch gestrickte“ Strukturen, die aus ihr eine „gescheiterte Löwin“ machten.
Mit ihrem Plädoyer „für einen Aufstand der freiwilligen Mütter“ wandte sie sich direkt an die 30 Zuhörer, die auf den bereitgestellten Stühlen Platz genommen hatten und so die Halle tatsächlich zum Theaterraum machten. Beifall bekam Jacob auch für die Darstellung einer Engagierten, die für „wahre Verbindungen“ warb – und die könnten auch aus Zufallsbegegnungen entstehen.
Die meisten, die die Performance zufällig mitbekamen, blieben freilich auf Abstand. Nur manchmal gab es neugierige Blicke von den Vorübergehenden. Umso mehr bemühte sich Jacob in ihrer letzten Rolle als Politikerin um das sitzende Publikum: „Ich find es bombastisch hier.“ Sie suchte das Gespräch mit „Straßenmusikerin“ Magdalena Wolf und schrieb auf eine Tafel, was in ihren Augen „schön“ sei: „Offene Arme“, „Aufrichtige Kommunikation“, „Größter Protest“.
Beim Schlussapplaus bedankte sich Jacob besonders für die Unterstützung durch „die Ehrenamtlichen vom Bürgerbahnhof“. Im Anschluss an „All das Schöne“ gab es dann noch die Gelegenheit zum gemeinsamen Austausch im Café des Bürgerbahnhofs. Die Idee einer Aufführung im öffentlichen Raum, sagte die Schauspielerin, sei „von Anfang an da“ gewesen. Nach einer ersten Probenphase habe sie sich entschieden, eine Woche lang die Bahnhofshalle zu bespielen. Diese Herausforderung habe sie genossen: „Es ist jedes Mal etwas anderes.“
Bei der Konzeption ihres Textes dachte Jacob auch früh schon an „Themen, die uns alle betreffen“. Da „All das Schöne“ die Perspektive von Frauen einnehmen sollte, hat sie Literatur von Autorinnen verschiedener Epochen eingearbeitet. Zu ihren Stichwortgeberinnen gehören unter anderem Virginia Woolf, Simone de Beauvoir und Sibylle Berg. Die Textfassung in Form gebracht haben dann Co-Regisseurin Stefanie Siebers und Dramaturgin Ute Kranz.
Für Sonntag, 13. November, ist die nächste Aufführung von „All das Schöne“ im Bahnhof Vohwinkel geplant.
Von Daniel Diekhans
LINK: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/kuenstlerteam-macht-bahnhof-vohwinkel-zum-theaterraum_aid-78480131
27.10.2022
Viel Spaß mit „All das Schöne“
Mitarbeiterinnen von proviel/forum besuchten die Aufführung im Bürgerbahnhof Vohwinkel.
Die provielerinnen waren sofort mitten dabei: „Ich warte“, begann Schauspielerin Camilla Jacob ihr Stück „All das Schöne – Frauenstimmen“ im Bürgerbahnhof Vohwinkel. „Ja, wir auch“, entgegneten die Frauen im Publikum. „Sollen wir klatschen?“ Intensiv gingen sie mit, litten mit den Frauenfiguren, nickten wissend, wenn diese sich über Männer beklagten („Fast wie mein Mann“) und lachten und kicherten über die treffenden und entlarvenden Darstellungen von Camilla Jacob. In vier Szenen zeigte sie in ihrem selbst entwickelten Stück eine unentschlossene Teenagerin, eine Migrantin, eine alleinerziehende Mutter und eine Politikerin. Magdalena Wolf und Jonas Jacob spielten dazu Cello und Trompete.
Die proviel-Frauenbeauftragte hatte sich stark engagiert, um ihre Kolleginnen vom Theaterbesuch zu überzeugen. „Ich war sofort Feuer und Flamme von der Idee“, sagte Dörthe Kampmann. Sie hatte alle Abteilungen besucht, um für die Aufführung zu werben. „Denn auch mein Lebenselixier ist alles, was schön ist – Lachen, Musik, Schlafen und Natur.“ Nachdem noch Plätze frei waren, durften am Ende auch interessierte Männer mit in die Aufführung kommen.
„Das war sehr lustig“, fand anschließend Gabriele Schöningh. „Camilla Jacob hat wirklich alles auf den Punkt getroffen, wie unsere Zeit so ist“, sagte Iris Riewe. „Sie hat gesellschaftliche Themen in verschiedenen Bereichen betrachtet.“ Martina Szillo sah die Aufführung auch als Aufforderung, selbst etwas zu bewegen. Sie hat die Aufführung sehr genossen: „Die Schauspielerin kam so authentisch rüber.“ Najat Laghmooche hat die Musik besonders gut gefallen, die die Szenen voneinander trennte.
Auch die Schauspielerin selbst hatte Freude an der Aufführung: „Es macht Spaß, wenn man merkt, dass Reaktionen kommen – das war so ein schöner Austausch.“ Nach der Aufführung gab es einige Sätze aus dem Stück, die noch in den Zuschauerinnen nachklangen: „In dem Tunnel der Gleichgültigkeit stirbt alles Schöne ab.“ „Wie ich bin, darauf kommt es an.“ „Freundinnenschaft und Komplizinnenschaft bringen mich durch jeden deutschen Winter.“
LINK: https://www.proviel.de/aktuelles/artikel/article/viel-spass-mit-all-das-schoene/23/